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400 Volt können tödlich sein

Sonntag, 04. Juli 2010

400 Volt können tödlich sein


Kategorie: Allgemein

VON: FAZ.NET - EGON MORAWIETZ

Rettungskräfte und Strom-Autos

An der Unfallstelle ein Elektroauto zu erkennen kann zur lebenswichtigen Fähigkeit für Polizei, Sanitäter und Feuerwehr werden. Mehrere hundert Volt sind lebensgefährlich. Noch gibt es keine einheitlichen Vorschriften.


Kommen 400 Volt ins Spiel, heißt es vorsichtig sein

Fahrzeuge mit Hybrid- und Elektroantrieb werden Rettungskräfte im neuen Jahrzehnt auf Trab halten: An der Unfallstelle schnell und richtig die Antriebsart zu erkennen und zu interpretieren kann zur lebenswichtigen Fähigkeit für Polizei, Sanitäter und Feuerwehr werden. Derzeit fahren rund 30.000 Hybrid- und 1600 Elektroautos auf deutschen Straßen, Tendenz stark steigend.

Statt der üblichen Zwölf-Volt-Ströme einer Bleibatterie hat zum Beispiel der Toyota Prius eine zusätzliche Nickel-Metall-Hydrid-(NiMH-)Batterie an Bord, die zeitweise den Elektromotor zuschaltet und bis zu 400 Volt Spannung erzeugt. Mehrere hundert Volt sind lebensgefährlich: Ersthelfern droht unter Umständen ein Stromschlag, wenn sie mit Rettungsmaßnahmen beginnen. „Bei verunglückten Hybridfahrzeugen weiß man nie so genau, wo die Elektronik ausgeschaltet wird und welche Kabel wo verlaufen“, sagt Wehrführer Jörg Daniel von der Feuerwehr Hofheim am Taunus. Mehrmals in den vergangenen Monaten musste seine Truppe zu solchen Unfällen ausrücken. Zwar ist die Betriebssicherheit auch von Hybrid-Fahrzeugen in einer Vielzahl internationaler Regelungen festgeschrieben, „doch eine einheitliche Norm für das Bordnetz in Elektrofahrzeugen fehlt bislang“, klagt Holger Potdevin, Experte für Hochvoltsicherheit beim Elektronikzulieferer Bender in Grünberg.

Bei einem Unfall sinkt die Bordnetzspannung innerhalb von fünf Sekunden auf ungefährliche 60 Volt - so will es eine amerikanische Norm. Ein europäisches Gegenstück dazu gibt es aber nicht. Unter der Leitung von VW entwickelt die Autoindustrie derzeit einen Standard für ein Hochvolt-Bordnetz.

Wie automobiler Starkstrom zulangen kann, weiß man seit jenem Unfall 2008 in der hoch technisierten Formel 1: Beim Berühren der Karosserie eines mit dem Energie-Rückgewinnungssystem Kers (Kinetic Energy Recovery System) ausgerüsteten Rennwagens wurde ein BMW-Mechaniker beim GP in Jerez in der Boxengasse zu Boden geworfen. Grund soll ein Konstruktionsfehler gewesen sein. Mittlerweile wurde Kers wieder abgeschafft. „Die gleiche Gefahr wie im Motorsport“, so Holger Potdevin, „besteht aber grundsätzlich bei jedem elektrobetriebenen Fahrzeug.“ Denn eine Stahlkarosserie sei ebenso leitfähig wie Kohlefaserverbundstrukturen von Rennfahrzeugen.

Wohlgemerkt: Im normalen Fahrbetrieb ist der Fahrer vor der Hochspannung geschützt. Bei einem Unfall sollen die Trennung vom 12-Volt-Bordnetz und eine möglichst große Knautschzone für die Hochleistungsbatterie Sicherheit garantieren. Zudem trennen Sensoren innerhalb von 150 Millisekunden die Batterie vom Stromnetz - vorausgesetzt, die Leistungselektronik funktioniert dann noch. Ausreichende Erfahrungswerte fehlen jedoch bei den Fahrzeugherstellern. Hält die Technik auch noch nach Jahren, was sie beim Kauf verspricht?

Keine besonderen Vorkommnisse

Den ersten Crashtest mit einem älteren Hybridfahrzeug, einem drei Jahre alten Toyota Prius, hat unlängst die Prüforganisation Dekra gefahren. Offizielles Ergebnis: keine besonderen Vorkommnisse. Bevor die Testingenieure aber den Innenraum untersuchten, hatten sie vorsichtshalber mit Messgeräten überprüft, ob die Karosserie unter Strom steht. Spannende Aussichten für Rettungskräfte im Einsatz.

„Wir haben dem deutschen Feuerwehrverband Datenblätter zur Technik unserer Hybridfahrzeuge frühzeitig überlassen“, erklärt Dirk Breuer, Hybridexperte bei Toyota und Lexus. Das haben andere Hersteller auch getan. In der Praxis würde das für Feuerwehren bedeuten: Kisten mit Rettungskarten mitschleppen oder auf den jeweiligen Herstellerseiten im Internet die Datenblätter downloaden - wenn denn Internetzugang an der Unfallstelle besteht. Und letztlich weiß man nie sicher, ob so ein Datenblatt auch die aktuelle technische Fahrzeugausführung dokumentiert.

Direkte Kennzeichenabfrage beim Fahrzeugregister

Doch bei der Rettung von Menschenleben ist Eile geboten. „Über eine in Holland gekaufte CD konnten wir in einer Datenbank schnell feststellen, wo im Prius die elektrischen Sicherungen sitzen“, berichtet Feuerwehrmann Jörg Daniel. So wie in Großbritannien, Schweden und Holland wünschten sich auch hierzulande Einsatzkräfte die Option, mit einem Notebook Daten sofort abrufen zu können.

Hilfe kommt vom Gesetzgeber: Wie bei der Polizei soll eine direkte Kennzeichenabfrage beim Fahrzeugregister in Flensburg der Feuerwehr Auskunft über relevante Technik eines Hybrid-Fahrzeugs geben. „Ich habe deshalb eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Fahrzeug-Zulassungsordnung auf den Weg gebracht“, verkündete Verkehrsminister Peter Ramsauer. Schließlich kommt es an der Unfallstelle mitunter auf jede Sekunde an.


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